Nach der verrückten Zeit bei bzw. mit Katja und Sergej setzten wir unsere Reise fort und fuhren weiter Richtung Tartu.
Tartu, als zweitgrößte Stadt Estlands, ist nicht weniger lebendig als Tallinn und hat uns ebenfalls außerordentlich gut gefallen. Allerdings lag das nicht zwingend an der Stadt, sondern viel mehr an den tollen Menschen, mit denen wir dort Zeit verbracht haben.
Zwei Tage zuvor haben wir an dem See, kurz bevor wir mit Sergej und Katja aufgebrochen sind, Niels und Lea sowie deren Hund Marley kennenglernt und uns kurzerhand für ein Treffen in Tartu verabredet.
Die drei leben mittlerweile seit vier Jahren in ihrem Van und ziehen ebenfalls durch Europa. Für uns war das natürlich die Gelegenheit einige Tipps abzustauben und Inspiration zu sammeln. Beispielsweise haben sie mittlerweile ein festes Einkommen und können von überall arbeiten – ein Umstand, der für uns momentan noch utopisch erscheint, aber ebenso erstrebenswert ist.
Und auch sonst hatten wir eine sehr schöne Zeit zusammen. Wir ließen uns durch die schmalen Gassen Tartus treiben, aßen zusammen zu Abend, spielten Karten und unterhielten uns bis tief in die Nacht. Niels, einer der kommunikativsten Menschen, die wir je getroffen haben, hat für uns zudem herausgefunden, dass man, wenn man in Estland nach 22 Uhr Alkohol kaufen möchte, einfach ein Taxi anhalten muss. Trotz des striktem Verkaufsverbot von Alkohol nach 22 Uhr, haben Taxifahrer immer etwas dabei und verkaufen das „unter der Hand“ sozusagen. Solltet ihr also mal in Estland nachts auf dem Trockenen sitzen, einfach ein Taxi anhalten.
Ein weiteres Highlight in Tartu war zudem der Besuch eines Fitnessstudios. Für lediglich drei Euro konnte ich trainieren, die Sauna benutzen und warm duschen. Jessy hat in der Zeit fleißig mit Lea abgetanzt und ebenfalls ordentlich Gas gegeben.
Das Schöne an dem Aufenthalt in Tartu war, dass die Stadt verhältnismäßig klein ist und wir uns bereits nach zwei Nächten so gut auskannten, dass wir ohne Google Maps nutzen zu müssen, durch die Stadt bummeln konnten. Dadurch entstand ein Gefühl der Vertrautheit, was in Tallinn in dieser Form nicht aufkam und sich äußerst gut angefühlt hat.
Dieses Gefühl hat zudem dafür geführt, dass wir gerne ein paar Tage länger geblieben wären, aber unser Zeitplan war bekanntlich eng, so dass wir weiterziehen mussten.
Unser nächster Stopp war die lettische Hauptstadt Riga. Lettland bzw. Riga fühlte sich im Vergleich zu Estland etwas düsterer, etwas grauer an. Nichtsdestotrotz kann sich die Stadt durchaus sehen lassen. Auch hier fanden wir eine schöne Altstadt vor, die mit zahlreichen Restaurants und kleine Boutiquen aufwarten kann. Da wir allerdings nur eine Nacht dort waren, können wir gar nicht viel mehr über die Stadt sagen.
Uns wird von Riga vor allem in Erinnerung bleiben, dass wir fast umsonst auf einem Bon Iver Konzert gelandet wären.
Am Abend unseres Aufenthalts kam uns die Stadt außergewöhnlich voll vor. Zudem war eine enorme Polizeipräsenz zu vernehmen. Als ich eine Polizistin fragte, ob es ein besonderer Abend sei, bekam ich leider keine aussagekräftige Antwort. Wir hatten uns mittlerweile endgültig aus den Regionen verabschiedet, in denen wir mit englisch weiterkamen.
Also mussten wir uns selbst weiterhelfen und schauten im Internet nach, welches Ereignis die Menschen so zahlreich in die Innenstadt zog. Und was fanden wir? Wir konnten unser Glück kaum fassen! Das für 2020 geplante Konzert Bon Ivers wurde doch tatsächlich genau auf den Tag verschoben, an dem wir Riga besuchten.
Leise vor uns her singend, schlossen wir uns also den Menschenmassen an.
„Come on, skinny love, just last the year
Pour a little salt, we were never here
My my my, my my my, my my
Staring at the sink of blood and crushed veneer“
Romantischer geht es ja eigentlich kaum.
Als wir uns schließlich der Bühne bzw. dem Ort des Geschehens näherten, waren wir etwas verwundert. Statt geschwenkten Feuerzeugen und „Skinny Love“ schrie ein Redner Parolen von der Bühne, was immer wieder zu „Latvia“-Sprechchören führte. Bon Iver war der Redner definitiv nicht. Als ich erneut fragte (dieses Mal einen jüngeren Passanten, in der Hoffnung, dieser spreche englisch), was los sei, erfuhr ich, dass wir mitten in einer Demonstration gegen die aktuelle Corona-Politik gelandet waren. Na toll! Anstelle eines Konzertes fanden wir uns also in einer Querdenkerdemo wieder. Nach querdenken war uns nicht zu Mute, daher verließen wir umgehend den Platz und gingen zu Heins, der nur unweit entfernt stand. Noch bis spät in die Nacht vernahmen wir im Bett „Latvia“ -Rufe, was bei uns ein etwas unbehagliches Gefühl hervorrief. Zumal das Gros der Demonstranten direkt an unserem Auto vorbeizog.
Das Konzert war im Übrigen tatsächlich an diesem Tag. Allerdings in der Messehalle.
Nach unserem Besuch in Riga blieben wir noch eine weitere Nacht in Lettland, bevor wir uns auf den Weg nach Polen machten.
In Polen war unsere erste Anlaufstelle Augustinow nahe der Grenze zu Weißrussland.
Ähnlich wie in Lettland bestimmte vor allem der Termindruck unseren Aufenthalt in Polen, so dass wir ebenfalls nicht lange bleiben konnten. Die kurze Zeit reichte allerdings aus, um festzustellen, dass die Polen, im Gegenteil zu den vorher besuchten baltischen Ländern, uns äußerst offen entgegentraten.
Diese Offenheit führte allerdings auch zu einem kleinen Konflikt, der ungewollt durch Jessy ausgelöst wurde.
Eines Abends, auf der Suche nach einem Stellplatz, steuerten wir leicht verzweifelt eine Pizzeria an und beschlossen uns erst einmal zu stärken. Am Rande sei erwähnt, dass wir mit der Pizzeria einen wahren Secret-Spot gefunden haben. Wir haben für kleines Geld unfassbar gut gegessen. Solltet ihr also mal in die Nähe von Powidz kommen, besucht unbedingt die Pizzeria Kacprowy.
Jedenfalls bestellten wir dort zwei Pizzen sowie ein Bier und bereits während der Bestellung wurde uns freudig vom Nachbartisch zugeprostet.
Als allerdings unsere Bestellung ankam, konnten unsere Nachbarn gar nicht nachvollziehen, warum wir nur ein Bier auf unserem Tisch hatten. Prompt wurde Jessy ebenfalls ein Bier ausgegeben.
Der Nachbartisch setzte sich im Übrigen aus zwei Familien zusammen: Zwei Männer, zwei Frauen sowie zwei Kinder.
Zur Freude der beiden Herren konnte Jessy nun auch endlich zurückprosten. Keine Freude bzw. Zorn verspürte dagegen eine der Frauen. Die war sichtlich erzürnt über ihren spendablen Ehemann und ließ dies zunächst Jessy spüren. Mit einem Blick, der selbst die Hölle hätte gefrieren lassen, fixierte sie zunächst ihre vermeintliche Widersacherin, bevor sie sich anschließend dem Unglücksraben widmete. Auch ohne des polnischen mächtig zu sein, war ziemlich offensichtlich, dass der Herr eine gehörige Standpauke erhielt. Die Frau ließ sich erst stoppen, als der Sohn ihr den Mund zuhielt.
Um den ganzen die Krone aufzusetzen, verließ sie allein das Restaurant.
Und wir? Wir waren kurz peinlich berührt, ließen uns aber dann trotzdem die Pizza schmecken. Jessy hat sich ja nichts zu Schulden kommen lassen.
Als wir uns von dem Schock erholt hatten, fiel uns wieder ein, warum wir überhaupt in dieser Pizzeria Halt gemacht hatten. Wir waren doch eigentlich auf der Suche nach einem geeigneten Stellplatz. Da es mittlerweile dunkel war und stark regnete, sahen unsere Chancen auf einen schönen Stellplatz nicht sehr rosig aus. Wir beschlossen daher im Restaurant zu fragen, ob es okay wäre, wenn wir die Nacht auf dem dortigen Parkplatz verbringen dürfen. Parkplatz ist vielleicht etwas übertrieben. Vielmehr war es ein kleines Stück Rasen vor dem umzäunten Gelände der Pizzeria, auf dem die Gäste ihre Autos abstellten. Daher dachten wir uns auch, dass nichts dagegensprechen sollte, wenn wir dort übernachten.
Allerdings war da einmal mehr die Sprachbarriere und daher musste das Personal zunächst mit dem Chef Rücksprache halten.
Wir wissen zwar nicht was dort besprochen wurde, aber schlussendlich fanden wir uns auf dem Gelände der Pizzeria wieder, konnten also anstatt draußen vor dem Zaun, hinter verschlossenen Türen schlafen und als Sahnehäubchen der Geschichte durften wir am nächsten Morgen sogar das Bad benutzen.
Ihr merkt schon: Wenn man im Van lebt, werden die Dinge kleiner, für die man dankbar ist.
Abschließen möchten wir diesen Beitrag und somit gleichzeitig unsere ersten zwei Reisemonate mit unserem Aufenthalt in Posen.
Dort verbrachten wir die letzten zwei Nächte, bevor es uns für den geplanten Zwischenstopp zurück nach Deutschland zog.
Eine Nacht davon schliefen wir auf der Dominsel vor einer der ältesten Kathedralen des Landes. Morgens aufstehen und seinen ersten Kaffee direkt vor diesem imposanten Bauwerk genießen: Besser kann man kaum in Stadtbummel starten.
Ja, und auch wenn ich mich wiederholen mag, aber einmal mehr wartete ein wirklich wunderschöner Ort auf uns.
Wir schlenderten durch die gut erhaltene Altstadt, die sich rund um den riesigen Marktplatz erstreckt, auf dem ein Haus prunkvoller, als das andere ist, aßen im alternativeren Teil Posens Piroggen und ließen den Abend in einer hippen Beacharea ausklingen. Außerdem konnten wir durch die tollen Radwege unsere Longboards rausholen und die Stadt auf diese Weise erkunden.
Wir finden, Posen ist definitiv einen Besuch wert!
Unser Highlight hatte dann allerdings wenig mit der Stadt zu tun, sondern viel mehr mit meinem Frisörbesuch, der bitter nötig war.
Der Pandemie geschuldet, hatte Jessy die letzte „Haarschnitte“ übernommen. Das wollte ich nun endlich mal wieder ändern und mit einem neuen, feschen Cut glänzen.
Mein Barber Bro (der Name des Salons) war fest entschlossen mir die Seiten gänzlich abzurasieren. Ganz so fesch wollte ich eigentlich nicht sein, aber nachdem er mich dreimal gefragt hatte, dachte ich, es wäre eine witzige Idee und Jessy hätte bestimmt ihren Spaß. Den hatte sie definitiv! Bereits als sie mich durch das Schaufenster des Salons erblickte, konnte sie einen Lachanfall nicht unterdrücken. Was der Frisör in diesem Moment wohl gedacht haben muss?
Ich musste ebenfalls sehr lachen, aber letztendlich war es nur halbschlimm. Vielleicht ist der Schnitt etwas zu aggressiv geworden, aber immerhin konnte man im Gegensatz zu meinen sonstigen Frisörbesuchen auf jeden Fall einen Vorher-Nachher-Unterschied feststellen.
Das waren sie, unsere ersten zwei Reisemonate. Als wir uns ins Auto setzten und Richtung Deutschland Posen verließen, stellten wir fest, dass diese Zeit die Lust auf das Reisen, auf Abenteuer und auf das Ungewisse nur noch mehr gesteigert hat.
Auch wenn wir uns unheimlich auf Familie und Freunde freuten, ertappten wir uns immer wieder dabei, wie unsere Gedanken uns nach Frankreich bzw. in den Süden Europas zogen.
Welche Geschichten werden wir dort wohl schreiben?
Jessy, Flori & Eddie
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