Puh, eine Woche Deutschland hat uns ganz schön aus dem Konzept gebracht. So schön die Freude auch war, alle Leute wieder zu treffen und in die Arme zu schließen, so froh waren wir auch, wieder loszukommen, um neue Abenteuer erleben zu können.
Das erste Ziel nach unserem kurzen Heimaturlaub war die Normandie. Wir waren zwar bereits dreimal in Frankreich, aber noch nie hat es uns in den Norden verschlagen und ohnehin freuten wir uns besonders darauf, endlich mal eine längere Zeit in dem Land zu verweilen.
Der Start nach unserem kurzen Heimaturlaub verlief ähnlich holprig, wie zu Beginn unserer Reise, was zum einen natürlich daran lag, dass wir uns erst wieder mit dem Leben in Heins zurechtfinden mussten, aber zum anderen auch daran, dass sich die Stellplatzsuche in Frankreich als äußerst schwierig herausstellte. Fast jeder Parkplatz war auf eine Höhe von 1,90 Meter beschränkt, so dass wir große Probleme hatten, einen geeigneten Schlafplatz zu finden.
Beide Tatsachen, also der fehlende „Luxus“, den wir die Tage zuvor erfahren haben, sowie die nervige Stellplatzsuche, spiegelten sich in unserer Laune wieder, so dass enorm viel Spannung zwischen uns lag. Bereits am zweiten Abend entlud sich diese Spannung und wir brauchten beide ein wenig Zeit für uns. All das nur, weil Jessy frisch gekochte Nudeln so unglücklich hingestellt hatte, dass ich gegen den Topf gegenkommen bin und sie dadurch zu Boden fielen. Natürlich eine Lappalie, aber das zeigt ganz gut, wie anstrengend das Leben zu zweit auf engsten Raum sein kann.
Am nächsten Morgen bei einer großen Eddie-Runde lachten wir natürlich schon darüber und entschieden uns dafür, einfach locker und zufrieden zu sein. Immerhin haben wir gerade die Zeit unseres Lebens.
Wir machten uns Frühstück, setzten uns an die Strandpromenade und genossen die Sonne. Etwas überraschend haben wir dort festgestellt, wie freundlich die Franzosen doch sind. Wir wurden freudestrahlend gegrüßt, Eddie wurde gestreichelt und während unseres Frühstücks wehten uns zahlreiche „Bon Appétit“ entgegen.
Nach dem Frühstück wollten wir eigentlich ein Stück weiterfahren, doch wir ließen uns durch die Freundlichkeit anstecken und verweilten noch eine ganze Zeit auf der Promenade.
Wie sich nach kurzer Zeit herausstellte, war das genau die richtige Entscheidung.
Ich schnappte mir ein Buch zum Lesen und bekam am Rande mit, wie Jessy mit einer Französin ins Gespräch kam. Es ging – wie so oft – ums Alter von Eddie, daher schenkte ich der Unterhaltung auch nicht die größte Aufmerksamkeit. Nach ein paar Minuten spitze ich allerdings meine Ohren, denn die Dame fragte, ob wir nicht bei ihr eine Dusche nehmen wollten. Jessy bedankte sich, sagte aber, dass es nicht nötig sei, da wir die Strandduschen nutzen könnten. Sie verabschiedeten sich und Jessy kam freudestrahlend zu mir zurück. Ich dagegen, schaute wenig freudestrahlend, sondern war völlig entgeistert. Hatte sie wirklich eine Einladung zu einer französischen Familie nach Hause abgelehnt? Und warum werden wir eigentlich erneut zum Duschen eingeladen? Ok, die zweite Frage schoss mir tatsächlich durch den Kopf, war in dem Moment allerdings eher nebensächlich.
Als ich Jessy darauf aufmerksam machte, riss sie ihre Augen auf und konnte ihre Reaktion selbst kaum fassen. Das, was dann folgte, war für mich allerdings fast noch erstaunlicher. Sie machte auf dem Absatz kehrt, lief der Französin nach und lud uns quasi selbst auf Kaffee und Kuchen ein.
Eine Stunde später saßen wir ausgestattet mit frischem Apfelkuchen im Auto und machten uns auf den Weg ins Ungewisse. Caroline, so hieß die nette Frau, die uns eingeladen hatte bzw. die Jessy´s Selbsteinladung angenommen hatte, gab uns ihre Adresse und beschrieb uns zudem den Weg.
Als wir das vermeintliche Ziel erreichten, konnten wir kaum glauben, dass wir dort wirklich richtig waren. Wir hielten am Rande der Steilklippe hoch oben über dem Atlantik vor einer kleinen Kapelle. Der Ausblick war einfach atemberaubend.
Nachdem wir kurz innegehalten hatten, um die Atmosphäre aufzusaugen, entdeckten wir gegenüber der Kapelle ein stählernes Zufahrtstor. Neben diesem Tor war auch die Hausnummer, die uns Caroline gab, angebracht. Allerdings war dort weit und breit kein Haus zu sehen. Zögerlich gingen wir die schmale Allee entlang; rechts von uns die Klippe und das Meer, links entspannte Kühe, die uns kauend willkommen hießen. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten wir endlich ein Gebäude, welches wir allerdings passierten. Wir sollten nämlich nicht zum kleinen Haus kommen, sondern zum größeren weitergehen. Wieder stutzten wir. War das etwa das kleine Haus? Darin fand locker eine fünfköpfige Familie Platz. Ein paar Schritte weiter erblickten wir dann ein weiteres Gebäude: Ein riesiges und vor allem wunderschönes Chateau. Wo waren wir nur gelandet?
Caroline begrüßte uns freudestrahlend, bot uns Plätze auf der Terrasse an und fragte, warum wir nicht aufs Grundstück gefahren waren. „Weil wir niemals dachten, dass wir hier richtig sein können“, schoss uns durch den Kopf.
Zu uns gesellten sich zudem Carolines Eltern, denen das Anwesen gehörte. Caroline selbst lebt mit ihrem Mann ebenfalls auf dem Gelände, allerdings in einem anderen Haus, was noch etwas weiter abseitsstand. So richtig verstanden haben wir die Konstellation auf dem Grundstück auch nicht. Scheinbar war dort einfach sehr viel Platz vorhanden, auf dem sehr viel schöne Häuser gebaut werden konnten.
Ihr Mann war leider beruflich verhindert. Arzt. Sie selbst ist professionelle Musikerin. Piano. Daher pendelt sie die meiste Zeit zwischen dem Anwesen und ihrer Wohnung in Paris. Ihre fünf Kinder sind alle in sozialen bzw. humanitären Brennpunkten unterwegs, entweder in französischen Großstädten oder im Ausland.
Ihr ahnt es schon. Wir kamen aus dem Staunen gar nicht mehr heraus und dachten die ganze Zeit nur, auf was für eine unfassbare Familie wir gestoßen waren. Das schöne an Caroline und ihren Eltern war, dass sie uns kein schlechtes Gefühl vermittelten. Da war kein Hauch von Arroganz oder Überheblichkeit. Einfach nur aufrichtiges Interesse an unserem Leben. Man vergisst in solchen Momenten oftmals, dass auch wir für unsere Gesprächspartner aufregend und spannend sind. Wahrscheinlich haben sich noch nicht so viele Deutsche, die in ihrem Van leben, auf Kaffee und Kuchen selbst eingeladen.
Nach ein paar Stunden, als wir die Allee zurück zu unserem Auto durchquerten, waren wir einfach nur sprachlos. War das gerade wirklich passiert? Nicht nur, dass wir diese inspirierenden Menschen kennenlernen durften, Caroline hatte uns auch angeboten sie in Paris zu besuchen bzw. die Wohnung zu nutzen, wenn wir wollen.
Außerdem gab sie uns noch einen wertvollen Tipp mit auf den Weg. Wir sollten unbedingt Veules-les-Roses, einen ihrer Lieblingsorte in der Normandie einen Besuch abstatten.
Da der Ort nur 20 Minuten entfernt lag sowie nur einen geringen Umweg zu unserer eigentlichen Route darstellte, fuhren wir noch am selben Tag dorthin. Und was sollen wir sagen? Auch mit diesem Tipp begeisterte uns Caroline. Veules-les-Roses ist genauso, wie man sich eine französische Kleinstadt vorstellt: Enge Gassen, in denen zahlreiche Läden ihre kulinarischen Köstlichkeiten anbieten; mit Efeu bewachsene Steinhäuser, deren Fenster mit himmelblauen Fensterläden geschmückt sind; Blumen, egal, wo man hinschaut und natürlich ein kleiner Marktplatz, auf dem die älteren Damen und Herren des Dorfes sich das erste Gläschen Wein einschenken.
Wir schlenderten mit einem fetten Grinsen durch die Gassen und ließen das Geschehen einfach auf uns wirken. Zum krönenden Abschluss dieses wunderschönen Tages fanden wir uns zum Sonnenuntergang am Strand von Veules-les-Roses wieder, der, wie sollte es für diesen Ort anders sein, ebenfalls überwältigend ist. Solltet ihr also mal in die Normandie kommen, besucht unbedingt diesen französischen Bilderbuchort.
Wenn man nach Bilderbuchorten an der Nordküste Frankreichs sucht, kommt man an Étretat und den dazugehörigen weißen Felsformationen ebenfalls nicht vorbei. So lag es auf der Hand, dass auch wir diesen Ort einen Besuch abstatteten.
Bei uns blieb der Zauber allerdings aus. Ja, landschaftlich ist der Küstenabschnitt rund um Étretat wirklich sehenswert, aber auf der anderen Seite eben auch sehr überlaufen. Nun ja und dort, wo viele Menschen sind, gibt es eben auch einige, die nicht wissen, wie man sich in der Natur verhält. Dementsprechend vermüllt waren die Pfade entlang der Küste.
Vielleicht haben wir auch so sensibel darauf reagiert, weil wir von vergleichbaren Erfahrungen auf unseren bisherigen Wanderungen verschont geblieben sind.
Neben der Tatsache, dass uns der Müll ins Auge fiel und wir ein wenig genervt von den vielen Besuchern waren, bemerkten wir eine gewisse Müdigkeit bzw. Abgestumpftheit. Wir waren an einem Ort, der trotz der „Widrigkeiten“ wirklich sehenswert und beeindruckend ist, doch für uns war es mehr oder weniger eine verlängerte Gassi-Runde; sozusagen nichts Besonderes mehr. Daran musste sich dringend etwas ändern und so beschlossen wir, uns etwas mehr Zeit zum Verarbeiten der Ereignisse zu nehmen und vor allem riefen wir uns wieder ins Bewusstsein, was für ein unfassbar privilegiertes Leben wir gerade führen.
Nach dem Besuch Étretats hatten wir noch einen weiteren wichtigen Punkt auf unserer Liste, der bei einer Reise durch die Normandie nicht fehlen darf bzw. an dem man gar nicht vorbeikommt: Weltkriegsgeschichte.
Zahlreiche Museen und Denkmäler erinnern an die größte Militäroperation aller Zeiten und die damit verbundene Befreiung Frankreichs. Wir besuchten u. A. Omaha Beach und die dortige Begräbnisstätte der gefallenen amerikanischen Soldaten. Mir erscheint es zwar als etwas makaber, einen Friedhof als „beeindruckend“ zu bezeichnen, aber dieser Ort führt einem definitiv vor Augen, welche tragischen Ausmaße die damalige Operation und somit letztendlich der gesamte Krieg hatte. Bei mir stellte sich auf jeden Fall ein Gefühl der Beklemmung ein, was mit Sicherheit damit zu tun hat, dass wir als Deutsche zum dunklen Teil dieser Geschichte gehören. Gleichzeitig wurde mir aber auch bewusst, wie wichtig solche Orte sind, denn sie sorgen dafür, dass wir nicht vergessen; dass wir nicht vergessen wir grausam Kriege sind und wie grausam die Zeit des Nationalsozialismus war.
Neben den landschaftlichen Highlights, den sehenswerten Städtchen und den lieben Menschen, ist die Normandie also gerade auch aus geschichtlichen Gründen einen Besuch wert. Wir können auf jeden Fall jedem, der Frankreich bereisen will, ans Herz legen, diesen Teil des Landes aufzusuchen. Für uns stellt sich ebenfalls nicht die Frage ob, sondern wann wir dorthin zurückkehren werden.
Jessy, Flori & Eddie
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