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#04.05.2022 bis 10.05.2022 – Zurück in der Natur

Ich wage zu behaupten, dass viele von euch mit den Philippinen bisher wenig Berührungspunkte hatten. Einige kennen vielleicht die Inseln Boracay und Palawan, die mit ihren palmengesäumten Traumstränden ein geradezu paradiesisches Bild des Inselstaats vermitteln. Dieses Bild ist keinesfalls trügerisch, doch es wird eben nicht dem gesamten Land gerecht. Denn was viele bestimmt nicht wissen, ist, dass die Philippinen auch wirklich imposante Berglandschaften vorzuweisen haben.

So beispielsweise im Norden der „Hauptinsel“ Luzon.

Jessy war bereits als Kind einmal in diesem Bereich des Landes und konnte sich noch gut an den Kontrast zwischen der Schwüle Manilas und der Frische im Raum rund um Baguio (einer der größten Orte im Norden) erinnern.

Für mich sollte es die erste Reise in die philippinischen Berge sein und ich freute mich nach dem ganzen Trubel bei Jessy´s Familie nicht nur auf ein wenig Ruhe, sondern in erster Linie auch darauf, endlich wieder in der Natur zu sein.

Dazu sei gesagt, dass die Zeit im Van unser Bewusstsein für die Natur noch einmal drastisch erhöht hat. Wir haben so viel Zeit draußen im Grünen verbracht, dass wir mittlerweile, um in Balance zu bleiben, einfach darauf angewiesen sind, immer mal wieder rauszukommen.

Und Naturverbundenheit ist das perfekte Stichwort, denn davon fanden wir reichlich.

 

Doch zunächst mussten wir erst einmal anreisen.

Inlandsreisen sind auf den Philippinen immer etwas aufwendig. Durch die vielen Inseln ist man aufs Fliegen oder auf den Fährverkehr angewiesen. Ein Schienennetz existiert so gut wie gar nicht.

Die dritte Option der Fortbewegung sind Fernbusse. Die Verbindungen sind sehr gut und sehr günstig. Das Problem ist allerdings, dass das Straßennetz nicht sonderlich gut ausgebaut ist.

Wir brauchten beispielsweise mit dem Nachtbus für die 370 km von Manila nach Banaue elf Stunden.

Die Filipinos sind es gewohnt, dass alles ein wenig länger dauert. Umso besser, dass sie diese ganz spezielle Fähigkeit in sich tragen. Eine Fähigkeit, die ich bei jedem meiner Besuche neidvoll anerkennen muss. Eine Fähigkeit, die auch Jessy in sich trägt und mich immer wieder erstaunen lässt.

Schlafen.

Es ist für mich unbegreiflich, wie schnell diese Menschen einschlafen können und wie sie es schaffen, auf einer mit Serpentinen durchzogenen Straße und einem Busfahrer, der offensichtlich eine neue Rekordzeit für die Strecke aufstellen wollte, sich schlafend auf den Sitzen zu halten.

 

Der Aufwand der Anreise hat sich aber definitiv ausgezahlt. Gegen vier Uhr morgens setzte langsam das erste Tageslicht ein und man konnte bereits erahnen, wie wunderschön diese Gegend doch ist.

In Banaue angekommen, machten wir uns erst einmal auf den Weg zu unserer Unterkunft.

Wir hatten uns für zwei Nächte eine traditionelle Ifugao-Hütte gemietet. Die Ifugao sind ein indigenes Volk, welches über Jahrhunderte hinweg die imposanten Reisterrassen in dieser Region bewirtschaftet. Der Name bedeutet sowas wie „Menschen der Erde“, was sich in dem Bewusstsein für die Natur widerspiegelt.

Besonders schön ist, dass noch immer viele Einheimische nach den Bräuchen und Traditionen der Ifugao leben und somit das Bewusstsein von Generation zu Genration weitergetragen wird.

Gelebt haben die Ifugao in kleinen Holzhütten, die auf Stelzen errichtet wurden. Unter der Hütte kam die Familie zum Essen zusammen, in der Hütte wurde lediglich geschlafen. Und genau so haben wir auch gelebt.

In unserer Hütte war nichts weiter als eine Matratze auf dem Boden. Zutritt hatte man über eine Leiter. Herrlich einfach eben. Das Schönste war allerdings die Aussicht. Die Hütte lag auf einem Hügel und man hatte wundervolle Sicht auf Banaue und die umliegenden Reisterrassen.

 

Diese Reisterrassen besuchten wir am nächsten Tag, um genau zu sein die Reisterrassen von Hapao.

Zu den Terrassen möchte ich gar nicht viel sagen. An diesem Tag waren wir bereits überwältigt und dachten, dass danach nicht mehr viel kommen kann, was uns beeindrucken kann. Wie sich am nächsten Tag herausstellte, ging da doch noch deutlich mehr.

Doch zunächst zurück zu unserem Ausflug rund um Hapao. Da diese Reisterrassen im Nationalpark liegen, muss man sich für die Besichtigung einen Guide nehmen. Auch so bietet sich das natürlich, da einem sonst viele Informationen verborgen bleiben.

Wir hatten das Glück auf den lieben Luciano zu treffen. Luciano war bereits im fortgeschrittenen Alter, um die 70 würde ich schätzen, und ein herzenslieber Mensch.

Voller Freude führte er uns durch seine Heimat und erzählte uns viel Wissenswertes über den Reisanbau.

Das Highlight wartete dann allerdings am Ende unseres Tripps. Wir hörten laute Musik und konnten im Tal erkennen, dass dort eine riesige Feier im Gange war.

Luciano erklärte uns, dass es sich um eine Hochzeit handelte und dass alle, die die Musik hören können, eingeladen sind. Das schloss uns also mit ein und so führte uns Luciano zu der Hochzeit.

Dort angekommen, trauten wir unseren Augen kaum. Bestimmt 150 Leute standen Schlange und warteten darauf, ihre Teller mit Essen zu befüllen. Weitere 200 Leute aßen bereits. Wiederum andere tanzten eigenwillige Stammestänze und tranken dabei Reiswein. Uns wurde ebenfalls direkt Reiswein in die Hand gedrückt.

Auch wenn wir uns am Rand aufhielten, blieb unsere Anwesenheit natürlich nicht unbemerkt. Alle freuten sich, dass Gäste von weit her Teil der Gesellschaft waren. Ich ahnte bereits früh, worauf das hinauslaufen sollte. Die Musik wurde abgestellt, der DJ erzählte irgendwas, alle jubelten und wir landeten letztendlich auf der Tanzfläche und mussten für das Brautpaar tanzen (welches wir aufgrund der vielen Menschen übrigens nicht einmal gesehen haben). Luciano tanzte fröhlich mit und erklärte uns lachend, dass das Tradition sei und dem Brautpaar Glück bringen sollte.

 

Rückblickend ist die Geschichte schon abgefahren und außergewöhnlich. In dem Moment fühlte es sich aber ganz und gar nicht außergewöhnlich an, ja, irgendwie sogar „normal“.

Das zeigt mir, wie sehr wir in dem Land und in der Kultur angekommen waren bzw. sind und das fühlt sich enorm schön an.

 

Am nächsten Tag besichtigten wir die Reisterrassen von Batad, welche als größte Reisterrassen der Welt angesehen werden und zum UNESCO Weltkulturerbe zählen.

Mit diesem Wissen ausgestattet machten wir uns auf den Weg und wir wurden nicht enttäuscht.

Die Terrassen rund um das kleine Dorf sind einfach gigantisch und es ist kaum zu glauben, wie Menschen vor bereits mehr als 2000 Jahren dazu in der Lage waren, so etwas gewaltiges zu errichten.

Auf der Wanderung quer durch die Reisfelder mussten wir immer wieder innehalten, um den Ausblick auf das saftige Grün zu genießen. Zugegeben wir mussten auch öfter einfach mal Pause machen, weil die Wanderung extrem schweißtreibend und anstrengend war. Wie gut, dass sie an einem nicht minder beeindruckenden Wasserfall vorbeiführte, an dem wir uns abkühlen konnten.

 

Nach zwei Nächten in Banaue machten wir uns wieder auf den Weg, aber keinesfalls zurück nach Manila, sondern Richtung Sagada.

Sagada liegt noch weiter im Norden und gilt als Zentrum für den philippinischen Wandertourismus.

Der Ort selbst ist sehr gemütlich. Lediglich eine Hauptstraße verbindet die zahlreichen kleinen Shops, Cafés und Souvenirläden miteinander. Alles läuft sehr ruhig und gediegen ab. Wir fühlten uns auf Anhieb wohl.

Besonders bekannt ist Sagada für seine hängenden Särge. Als Menschen der Berge ist es Tradition in der Region, dass Verstorbene nicht beigesetzt werden, sondern in Särgen an steilen Bergwänden aufgehängt werden.

Auch wir besichtigten die hängenden Särge und bekamen Dank der Hilfe eines Guides einen wertvollen Einblick in diese ganz besondere Tradition, die uns berührt hat und an der ich euch daher gerne teilhaben lassen möchte.

Der Grundgedanke hinter dem Aufhängen der Särge liegt darin, dass der Geist der Verstorbenen nicht unter der Erde „eingesperrt“ werden soll. Dank des Aufhängens kann er sich frei entfalten.

Außerdem werden die Verstorbenen, nachdem sie abgetreten sind, auf einen Stuhl gesetzt. Dort können sich dann alle Hinterbliebenen verabschieden. Der Stuhl dient dafür, dass die Toten, bevor die Leichenstarre einsetzt, bereits in embryonal Stellung sind. In dieser Position werden sie dann abschließend in den Sarg gelegt. Der Gedanke dahinter ist denkbar einfach und hat uns besonders berührt: So wie man auf die Welt kommt, soll man auch von ihr gehen.

Die Särge werden dann an geschützten und zum Teil wirklich spektakulären Stellen aufgehängt. Dafür werden außer den Seilen zum Aufhängen keinerlei Hilfsmittel genutzt. Die Seelen der Verstorbenen beschützen die Hinterbliebenen und der Legende nach gab es tatsächlich noch nie irgendwelche Unfälle.

Der Stuhl wird am Ende übrigens zu dem Sag dazu gehängt.

 

So jetzt habe ich schon so viel geschrieben und das eigentliche Highlight unserer Zeit in den philippinischen Bergen noch nicht einmal erwähnt: Wir waren bei Whang Od.

Whang Od ist mit 105 Jahren die älteste Tätowiererin der Welt und lebt von der Außenwelt abgelegen in einem kleinen Dorf, welches man nur zu Fuß erreicht.

Für ihre traditionellen Stammestätowierungen nutzt sie selbst angemischte Farbe aus Wasser und Asche sowie eine Nadel, die aus einem Kalamansi-Stachel geschnitzt wird. Dieser Stachel wird wiederum in einem Bambusstock eingearbeitet. Das Stechen des Tattoos ist dann eher ein Klopfen bzw. ein Hämmern. Mit kurzen schnellen Hieben auf die Tätowiernadel wird die Farbe in die Haut geklopft.

Wir wollten uns dieses Erlebnis keinesfalls entgehen lassen und machten uns daher, ausgestattet mit einem Pasalubong, einem kleinen Grußgeschenk, auf den Weg zu ihr.

Die Wanderung hoch ins Dorf erwies sich zwar als schweißtreibend, aber nicht als sonderlich anspruchsvoll, so dass wir bereits nach einer knappen Stunde unser Ziel erreichten.

Zunächst begaben wir uns zu den zwei Großnichten Whang Ods, die von ihr die Kunst der traditionellen Stammestätowierungen übernommen haben.

Während Whang Od in der Regel nur noch ihr „Signature-Tattoo“ die „Three Dots“ tätowiert, übernehmen die beiden Großnichten, Gracia und Elyang, die „größeren“ Tätowierungen.

Ich bekam von Gracia mein ganz spezielles Reiseandenken verpasst und konnte für Jessica schon mal vorfühlen, ob die Schmerzen erträglich sind. Ja, sind sie. Obwohl dazu gesagt sei, dass Gracia deutlich sanfter zu Werke ging als später Whang Od.

Außerdem sorgte der Ausblick aus dem „Studio“ für reichlich Ablenkung. Hoch auf dem Berg hatte man einen wundervollen Blick ins Tal und auf die dort befindlichen Reisfelder.

Nachdem Gracia ihr Werk vollendet hatte, reihten wir uns in der Schlange bei Whang Odd ein.

Es ist schon beeindruckend zu sehen, wie fit diese Frau mit ihren 105 Jahren noch ist. An dem Tag, an dem wir sie besuchten, stach sie über 150 Tätowierungen! Mit ihrer Arbeit sorgt sie dafür, dass das ganze Dorf ein entspanntes und einigermaßen wohlhabendes Leben führen kann.

Außerdem sieht sie auch noch verhältnismäßig jung aus und trägt, so gar nicht passend für eine Dame in ihrem Alter, immer eine bunte Beanie.

Unsere Tätowierungen bei ihr waren dann schnell gemacht. Wie bereits erwähnt, bekamen wir von ihr die „Three Dots“ verpasst, was nichts anderes als drei Punkte sind. Die drei Punkte stehen für Whang Od´s Familie, also für sie selbst sowie für Gracia und Elyang.

Abschließend wurde natürlich noch ein Erinnerungsfoto geschossen, wobei man als Mann vorsichtig sein muss. Whang Od findet es nämlich besonders witzig, während beim Posieren fürs Foto den Mann zu erschrecken, indem sie ihn da anpackt, wo ein Mann besonders empfindlich ist.

Ich wurde vorher gewarnt und habe meine Beine daher lieber verschränkt gelassen.

Zum Foto gesellte sich übrigens noch Whang Od´s beste Freundin, die angeblich sogar noch älter ist, als sie selbst.

Nach diesem beeindruckenden Ausflug hieß es für uns langsam aufbrechen. 13 abenteuerliche Stunden mit dem Nachtbus standen bevor und mit dieser Fahrt endete auch unser Abstecher in den Norden der Philippinen.

 

Jetzt beim Schreiben, mittlerweile bereits zwei Monate nach unserem Tripp, bin ich regelrecht überwältigt, wie viel wir in dieser kurzen Zeit gelernt haben.

Zum einen haben wir unfassbar viel über die philippinische Kultur erfahren, aber zum anderen, und das ist noch viel wichtiger, haben wir hautnah erlebt, wie wertvoll es ist, im Einklang mit der Natur zu leben. Menschen wie Whang Od werden schließlich nicht ohne Grund so alt. Die tiefe Verbundenheit zu Mutter Erde ist ein bedeutsamer Schlüssel für ein gesundes und letztendlich erfülltes Leben und auch wir haben einmal mehr gespürt, wie viel Energie uns die Natur gibt.

Eine wertvolle Erfahrung, die wir uns hoffentlich immer wieder vor Augen führen werden, wenn wir im Dschungel einer Stadt gefangen sind und durch den ganzen Trubel nicht mehr wissen, wo hinten und vorne ist.

In der Natur findet man Kraft und Balance.

 

Und mit dieser wundervollen Weisheit beenden wir unseren Beitrag über unsere Reise in den Norden der Philippinen.

Im nächsten Beitrag gibt es dann das Kontrastprogramm zu Berge und wandern – nämlich Strand und surfen… und mindestens genauso viel Lehrreiches wie in diesem Beitrag.

 

 

Jessy, Flori & Eddie


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